am 02.07.2022 - 11:54 Uhr
Was sind die Voraussetzungen, um BACnet in größeren Immobilienportfolios herstellerneutral einzusetzen, damit diese energie- und kosteneffizient gemanagt werden können – das war das Ziel der Fachtagung „Zukunftssicheres technisches Gebäudemanagement mit BACnet - Der Digitale Zwilling der Gebäudeautomation (BACtwin)“ am 21. Juni 2022. Zur ganzheitlichen Durchdringung des Themas war einiges an Prominenz der GA-Szene sowie einige Betreiber großer Immobilienportfolios und GA-Planer ins Gutenberg Digital Hub nach Mainz angereist. Eingeladen hatte die ICONAG-Leittechnik GmbH unterstützt von den weiteren Sponsoren GEZE GmbH und Somfy.
Notwendigkeit weiterer BACnet Vorgaben
Für ein zukunftssicheres und digitalisierbares technisches Gebäudemanagement ist es nicht ausreichend, nur den BACnet-Standard nach AMEV oder anderen Regelwerken vorzuschreiben. Das hat wahrscheinlich mittlerweile jeder erfahren, der mehrere Gebäude mit GA-Systemen unterschiedlicher Hersteller von zentraler Stelle aus managen möchte.
Warum das so ist, stellt BACman Hans Kranz in seiner Keynote der Tagung eindrücklich dar: als die GA-Weltnorm ISO 16484 zwischen 1995-2005 formuliert wurde, herrschte der sogenannte Buskrieg. Man musste den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen Profibus, FND, LON, EIB/KNX und BACnet finden. Und dieser sah die zukunftsweisenden BACnet-Objekte und -Properties nicht vor. Dadurch entstand eine Normungs-Lücke. Da die Bauherren und deren Planer gemäß geltender Norm zu der Verwendung der BACnet-Objekte und deren Properties keine Vorgaben machen, nutzt der Markt dies geschickt, um unter dem Deckmantel von BACnet den Bauherren bei Erweiterungen auf den Erstlieferanten festzulegen. Damit ist der Gedanke der Fabrikats- und Herstellerunabhängigkeit des Bauherrn erstmal Makulatur.
Diese Normungslücke ist bis heute die Ursache für Medienbrüche zwischen Bauherrenvorgaben, Planungsoutput, Engineering und Betrieb von GA-Systemen, führte Prof. Dr. Rupert Fritzenwallner vom Österreichischen Bundesheer (ÖBH) aus. Gemeinsam mit Hans Kranz ist er Autor des vielbeachteten Fachbuches „Der digitale Zwilling der Gebäudeautomation mit BACnet“. In diesem beschreiben die beiden Experten u.a. wie das in der GA-Planung bewährte Werkzeug der GA-Funktionsliste, um die Bauherren-Vorgaben und die Vorgaben der Errichter zu erweitern ist, um zum BACtwin zu kommen (siehe u.a. Beitrag im BACnet Europe Journal 32 03/20). Das ÖBH setzt den BACtwin mittlerweile seit 4 Jahren erfolgreich ein, insbesondere um die Ziele des Green Deals der EU-Kommission, der angestrebten Kreislaufwirtschaft und der klimaneutralen Gebäudebewirtschaftung zu erreichen. Auch zeigte Prof. Dr. Fritzenwallner auf, welche weiteren Potenziale sich durch den Einsatz des Internet der Dinge (Internet of Things) und Long Range Wide Area Network (LoRaWAN) in Verbindung mit dem BACtwin ergeben.
Aufgrund der Wichtigkeit des Themas und des großen Interesses haben wir uns 2023 entschlossen, die Veranstaltung in Form eines kostenlosen Online Seminares zu wiederholen. Die Aufzeichnung unserer Veranstaltungen können Sie sich hier anschauen:
Voraussetzungen für eine erfolgreiche Nutzung von BACnet im Immobilienportfolio
Damit der BACtwin von Bauherren und Betreibern eigener und größerer Immobilienportfolios erfolgreich eingesetzt werden kann, bedarf es einiger Voraussetzungen. Eine davon ist die Interpretierbarkeit von Daten, wie Christian Wild, Gründer und Geschäftsführer der ICONAG-Leittechnik bereits in seiner Begrüßung darstellte. Ohne interpretierbare Daten gibt es keine Digitalisierung z. B. durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), wie das Schaubild der Treppe zur KI verdeutlicht (siehe Abb.1).
Zentrales Schlüsselelement des BACtwin-Datenmodells ist darum das Benutzeradressierungssystem (BAS), häufig auch als Kennzeichnungssystem bezeichnet. Zu dieser Erkenntnis kamen Jürgen Hardkop (Obmann AMEV-AK BACtwin) und André Höhne (Mitglied im besagten Arbeitskreis). Da vorhandene BAS nicht für BACtwin optimiert und nicht maschinenlesbar sind, hat der AMEV-AK BACtwin in Fortführung der VDI 3814 einen neuen, leistungsfähigen BACtwin-BAS (E) entwickelt und auf der Tagung erstmalig vorgestellt. Dieser ist maschinenlesbar, benutzerfreundlich und zukunftssicher. Mit Hilfe des BACtwin-BAS können Maschinen die Dateninhalte erkennen und eindeutig interpretieren. Prüf-Tools können die Massendaten für Planung, Ausführung und Betrieb 1:1 validieren. IT-basierter Datenaustausch erlaubt einfache, schnelle und fehlerfreie Handhabung in GA-Projekten.
Zukunftssicherheit ohne Fabrikats- und Herstellerabhängigkeit erreicht ein Bauherr nur, wenn er den BACtwin fordert. Dafür müssen BAS und die BACnet-Profile und Objekt-Templates für die geplanten Aggregate-, Baugruppen- und Anlagen der Raum- und Anlagenautomation festgelegt und über ein BACnet Lastenheft bei Ausschreibung und Vergabe durchgesetzt werden, führte Daniel Rörich aus, der die BACnet-Beratung von Bauherren bei der ICONAG verantwortet.
Ein einfaches und sehr effizientes BACtwin-Prüfverfahren stellte der GA-Datenpionier Bernhard Ramroth von Excel-for-you vor. Mit seinem auf Excel-basierenden Prüftool zeigt er auf, wie im Rahmen von Umsetzung und Abnahme sehr einfach überprüft werden kann, ob alle Automationsstationen unabhängig von Fabrikat und Hersteller gemäß der BACtwin-Vorgaben eingerichtet wurden. So wird auch der Verwendung proprietärer oder gar versteckter Properties ein Riegel vorgeschoben.
Klare Vorteile für Betriebsführung und Management dank BACtwin
Auch wenn die Formulierung der BACtwin-Vorgaben einen gewissen Planungsaufwand bedeutet und die Hersteller proprietärer Lösungen sicher nicht jubeln werden, sind die Vorteile auf Seiten der Bauherrenschaft relativ klar. Christian Wild der ICONAG-Leittechnik zeigte auf, wie groß die Einsparung an Engineeringkosten auf Seiten der Management- und Bedieneinrichtung ist, wenn diese die BACnet Automationsstationen ausliest und aufgrund der Daten erkennen kann, um welche Anlage es sich handelt und die passenden, standardisierten Anlagenbilder zeigt sowie Alarm- und Zeitschaltkonfigurationen weitgehend automatisch vornimmt – und dies ganz unabhängig vom verwendeten Regelfabrikat.
Wie die Verbindung der Gebäudeautomation mit dem BIM-Modell auf Basis des BACtwins möglich wird, stellte Thomas Bender der pit-cup dar. Mit CAFM Connect hat der CAFM Ring einen solchen Standard ins Leben gerufen. Dadurch können die BIM Profile von Anlagen und Bauteilen als IFC Datensatz in IT-Systemen abgebildet werden, wie z.B. in der Management- und Bedieneinrichtung oder im CAFM-System. Prozesse des technischen Gebäudemanagements z. B. für Wartung, Instandsetzung oder zum Energiemanagement können so absprachefreie zwischen den unterschiedlichen Systemwelten digital umgesetzt werden.
Welche Chancen und Vorteile sich beispielhaft für die Integration von „Nebengewerken“ wie der Fenster- oder Türsteuerung ergeben, wurde sehr anschaulich von Jürgen Keller der GEZE GmbH aufgezeigt. Das System Tür oder Fenster muss beispielsweise Daten und Funktionen für Gebäudeautomation, aber auch Brand- und Einbruchsmeldeanlagen und Zutrittskontrolle bereitstellen. Auch hier bietet der BACtwin eine optimale Grundlage der Standardisierung.
Für die Beschattung ergeben sich ebenfalls signifikante Vorteile. Insbesondere zu Steigerung der Nutzerakzeptanz für die immer komplexer werdenden Automatisierungsanforderungen, führte Dirk Mommaerts von der Firma Somfy aus. Beim Einsatz von Funktionen, wie z.B. einer komplexen automatischen Windüberwachung, Schattenmanagement und Sonnenstandsnachführung im Sinne der Energieoptimierung und Komfortsteigerung ist die maximale Transparenz für den Nutzer sowie eine nahtlose Anbindung an das Gebäudeautomationssystem in großen Projekten zwingend erforderlich. Die Hürden für beides wird durch den BACtwin deutlich reduziert.
Prof. Dr. Rupert Fritzenwallner als erfahrener Bauherr schließt mit einem eindringlichen Appell an die anwesenden Bauherren: Fordern Sie interoperable Lösungen für die Automationsstationen (AS) und die Management- und Bedieneinrichtung (MBE) und lassen Sie sich nicht mit vordergründlichen Argumenten von proprietären Ansätzen überzeugen.
Der Gutenberg Digital Hub e. V. ist ein breiter Zusammenschluss aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, der sich gemeinsam den Herausforderungen des digitalen Wandels stellt. Sitz ist das alte Weinlager am Zollhafen Mainz. Seit 2019 wird hier Vernetzung und Austausch gelebt. Die großzügigen Räumlichkeiten zwischen Rhein und Hafenbecken bieten Platz für Tagungen und Events. Hier soll eine Kultur des Austauschs und des Lernens von- und miteinander gelebt werden mit dem Ziel, Digitalisierung in Unternehmen, der Stadt und der Region zukunftsfähig zu gestalten.
Powered by ModuleStudio 1.3.2